ROMAN RAHMACHER
FOTOGRAF | BILDREDAKTEUR

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The Cambodians
Textessay von Swaantje Güntzel

Betrachtet man die Entwicklung der Studiofotografie seit der Einrichtung der ersten Ateliers Mitte des 19. Jahrhunderts in Europa, so erstaunt es, dass sich das klassische Fotostudio trotz rasanter Umbrüche in der fotografischen Technik und stetiger Überholung ästhetischer Konzepte, in seiner spezifischen Charakteristik letztlich nur geringfügig verändert hat. Das elementare Grundprinzip der Aufnahmesituation, in der der Studiokunde Teil eines szenarischen Arrangements aus Kulisse, dekorativer Requisite und Pose ist, wurde im Laufe der Jahrzehnte konsequent beibehalten, auch wenn die unterschiedlichen Aspekte Modifikationen unterlagen. Der Kunde steht, sitzt oder liegt im Atelier des Fotografen vor einem einfarbigen oder dekorierten Hintergrund und wird, abhängig vom Abbildungskontext, inmitten komplementärer Accessoires vor der Kamera inszeniert. Es ist die jeweilige Gestaltung des Studios (Hintergrundkulisse, Requisite), die Wahl der technischen Ausrüstung (Lichtkonzept, Kamera) und lokale Moden, die einem stetigen Wandel unterworfen sind, während die Studiostruktur als solche erhalten bleibt. Die Verbreitung der Fotografie außerhalb Europas folgte in den meisten Ländern einem analogen Schema: Im Kielwasser europäischer Expansionsambitionen gelangten sowohl die Ausrüstung für die fotografische Bildproduktion, als auch ästhetische Vorgaben europäischer Abbildungstradition in die kolonialisierten Regionen und lieferten damit Vorbilder für Bildgestaltung und Selbstdarstellung.[1] Fotografen reisten zuerst auf eigene Faust oder als Teil wissenschaftlicher und militärischer Expeditionen in die Kolonien, später ließen sie sich mit eigenen Studios in den großen Ballungszentren nieder oder fanden in Verwaltung, Armee und Marine ihr Auskommen. Die Abenteurer unter ihnen betrieben ein mobiles Kompaktstudio, das es ihnen ermöglichte weite Strecken zurückzulegen, um so in unbekannte Regionen vorzudringen. Architektur, Landschaft und einheimische Bevölkerung werden topographisch erforscht, es kam zu einer systematischen Erkundung der Welt durch die Fotografie. Technisches Wissen, Ausrüstung und Gestaltungsideale wurden schließlich an vor Ort rekrutierte Studioassistenten weitergegeben, die so in der Lage waren eigene Fotostudios zu betreiben. „[…] und so wurden bald auf der ganzen Welt vor europäischen Landschaftsmotiven in entsprechend ausgestatteten Studios nahezu identische Kompositionen erstellt“.[2] Mit der Ablösung der Daguerrotypie durch das effizientere Positiv-Negativ-Verfahren und einer Formatstandardisierung durch die Erfindung der carte de visite 1854 durch den Franzosen André Adolphe Disderi, kommt es in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts zu einem Anstieg fotografischer Aktivität, sowohl in den großen europäischen Städten, als auch in der Provinz und im Ausland.[3] Der Zugang zum eigenen Bild wird demokratisiert[4], nicht mehr die gesellschaftliche Elite sondern die breite Schicht des Bürgertums stellt von nun an die neue Klientel der Studios. Die carte de visite markiert damit den Beginn industrieller Bildproduktion.

Roman Rahmacher absolvierte in den achtziger Jahren ein Fotografiestudium an der Fachhochschule Bielefeld und bereist seit 1992 als Freier Fotograf Asien. Sein besonderes Interesse gilt Regionen wie Südostasien und China, die sich in einem wirtschaftlichen und kulturellen Umbruchsprozess befinden. Derzeit ist Rahmacher als Bildredakteur der Zeitschrift GEO tätig und befasst sich parallel mit dem Aufbau eines fotografischen Archivs zu den genannten Gebieten. Für sein Projekt „Studiofotografie in Kambodscha“, das im Kontext der „4. Triennale der Photographie Hamburg“ erstmals der Öffentlichkeit präsentiert wurde, hat Rahmacher eine Auswahl klassischer Portraitaufnahmen zusammengetragen, die im Zeitraum 1995 –2002 in konventionellen Fotostudios der kambodschanischen Städte Phnom Penh und Siem Reap als Kundenaufträge entstanden sind. Die vorliegende Serie umfasst aktuell 170 Abzüge analoger Farbaufnahmen, im Schwerpunkt Einzelportraits. Die Fotografien stammen hauptsächlich aus kleinen bis mittelgroßen Ateliers, die in einem deutlich urbanen Kontext in den Geschäftsbereichen der Innenstädte angesiedelt sind und deren Publikum sich gleichermaßen aus Stammkunden und Laufkundschaft rekrutiert. Die Studiodichte liegt in beiden Städten, vor allem in Phnom Penh als bevölkerungsreichster Stadt mit hoher Kaufkraft, relativ hoch. Fotografie ist im heutigen Kambodscha ein alltäglicher Teil des modernen Lebens, auch wenn der Besitz einer Kamera nicht selbstverständlich ist.

Rahmacher besuchte während seiner Aufenthalte in Kambodscha in den Jahren 1997 und 2002 systematisch Ateliers in den zentralen Einkaufs- und Nebenstraßen Phnom Penhs und Siem Reaps und kaufte das ihm dort angebotene Bildmaterial auf. Die Selektionskriterien wurden dabei von den Studiobesitzern bestimmt, die entschieden, welche Fotografien herausgegeben werden durften, wobei die Motivation stark variierte. Manche Inhaber verkauften nur Portraits, die von den Kunden  seit Jahren nicht abgeholt worden waren, andere nur nach Rücksprache mit den Auftraggebern und wieder andere ohne Restriktion. Obwohl die Portraitserie damit zwar nur bedingt repräsentativ ist, vermittelt sie einen außergewöhnlich guten Einblick in die Charakteristik der Studiofotografie Kambodschas, die hier dargestellt werden soll:

Auch in Kambodscha als französischer Kolonie ging die Verbreitung der Fotografie mit der Durchsetzung autoritärer Interessen der neuen Machthaber einher. Wissenschaftliche Expeditionen und militärische Operationen wurden im Auftrag der Kolonialregierung zur strategischen Erfassung der neu gewonnenen Territorien durch Fotografen flankiert. In den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts kam es in Kambodscha zu einer erhöhten fotografischen Aktivität, die sich parallel zur „Wiederentdeckung“ der Tempelanlage Angkor Wat (1860) durch den französischen Forschungsreisenden Alexander Henri Mouhot (1826-1861) entwickelte. Angelockt durch die Aussicht, eine bis dahin kaum erforschte archäologische Stätte dokumentieren zu können,  bereisten nun vermehrt unabhängige Fotografen, wie z.B. der Franzose Émile Gsell (1838-1879), der später das erste Fotostudio in Saigon/Vietnam eröffnete, und der Schotte John Thomson (1837-1921), von dem die ersten Aufnahmen der Tempelanlage stammen, das Land.[5] Im Rahmen zahlreicher wissenschaftlicher Forschungsreisen, wie der Mission Louis Delaporte, der Mission Étienne François Aymonier oder der Mission Louis Fournereau [6] - um nur einige zu nennen - erkundeten in der Folge Ethnologen, Linguisten, Botaniker und Vertreter weiterer wissenschaftlicher Disziplinen Kambodscha und die umliegenden Regionen, auch hier begleitet von Fotografen, bedacht darauf, gemäß einer positivistischen Wissenschaftslehre eine Form zu finden, das neu gesammelte Wissen summarisch überschaubar darzustellen. Trotz des in erster Linie kommerziellen Anspruchs der Fotografie erhoffte man sich die Erfüllung konkreter Erwartungen für die wissenschaftliche Forschung, da die Fotografie durch die Direktheit und Synchronität des Aufnahmevorgangs den Anschein einer originalgetreuen und objektiven Wiedergabe vermittelte. [7]

Die im 19. Jahrhundert erfolgte Revolutionierung der technischen Möglichkeiten der Bildproduktion bewirkte vorerst keine vergleichbare einschneidende Veränderung in der Bildgestaltung. In Kambodscha, wie auch den übrigen Regionen der Welt, in denen sich die Fotografie verbreitete, orientierten sich die Fotografen weiterhin an Darstellungsmustern, die schon in vorfotografischer Zeit geläufig waren. So wurden z.B. in der ethnografischen Fotografie, in Anlehnung an die Malerei, die Pose als eine Möglichkeit Bewegung vorzutäuschen, und das traditionelle Arrangement im Portrait als Stilmittel verwandt.[8] Insbesondere bei Studioaufnahmen von Einheimischen dominierte deutlicher als in anderen Kategorien das den künstlerischen Ambitionen des Fotografen verpflichtete szenarische Arrangement, dessen Leitmotive aus der Malerei entlehnt waren[9], was auch für alle scheinbar dokumentarischen Abbildungen galt: „Alle ethnographischen Darstellungen von fremden Menschen sind mehr oder weniger absichtsvoll inszenierte und gleichzeitig dokumentarische Beschreibungen, in welche zwangsläufig die Vorstellung derer, die sie aufgenommen haben, teils deutlich erkennbar, teils nur mühevoll unter Kenntnis ihres spezifischen Entstehungskontextes analysierbar eingeflossen sind.[10] Durch die fehlende Kenntnis der Fotografen über die dargestellte Kultur wurde der dokumentarische Wert der Fotografien, die vor allem in einer Art Katalogisierung von Typen und Charakteren lag, zu sehr eingeschränkt, um als echte repräsentative Bestandsaufnahme zu gelten.[11]

Somit müssen sowohl die idealisierten Genre-Darstellungen und das Sittenbildnis als auch die Reihen anthropometrischer bzw. rassenkundlicher Bilder jener Zeit als Inszenierungen gelten. Die variantenreiche ethnographische Fotografie, die sich zwischen diesen beiden Polen erstreckte, erlaubt damit, einen Blick auf die gegenseitige Durchdringung von ästhetischen Normen und dokumentarischen Reduktionen sowie die ihnen zugrunde liegenden inszenatorischen Prinzipien zu werfen.[12] Ein großer Teil der entstandenen ethnographischen Fotografien[13] sollten sie nun dem Ergötzen eines breiten Publikums oder der wissenschaftlichen Forschung gedient haben erscheinen als eine ikonographische Festschreibung der Standorte von Fotografen, Wissenschaftlern, Betrachtern einerseits und Fotografierten andererseits, für die die Antonyme „Zivilisiertheit/Wildheit“, „Aktivität/Passivität“ und Fortschrittlichkeit/Rückständigkeit“ stehen.[14]

Die fremde und die eigene Kultur wurden stets in einem binären Oppositionsverhältnis zueinander gesehen, in dem nicht-europäische Kulturen als eine verkehrte Welt wahrgenommen wurden, die im Falle des Rassismus ein negatives Gegenbild zur eigenen Kultur darstellte und im Falle des Exotismus als Verwirklichung der in der eigenen Kultur vermissten Werte begriffen wurde:[15]

Outside of public spaces, between the covers of colonial novels and postcard albums, Cambodian women were [...] cast as sexual playthings. Such depictions emphasized the degenerated status of Cambodia´s present, again underscoring France´s restorative mission. These images depicted la Cambodgienne as a voluptuous ‚congaï’, a Vietnamese term coined by the French to refer to Asian concubines in Indochina. Her role in the gender matrix was to transmit the secrets of her culture through amorous encounters with her French protectors.“[16]

Die Fotografen bedienten sich dabei unabhängig vom Ort der fotografischen Tätigkeit einer Auswahl an Gestaltungselementen, die eine weltweite Standardisierung europäischer Darstellungstradition bedeutete. Die Studios europäischer Fotografen, die sich in den Kolonien niederließen, glichen in der Innendekoration im Detail den Ateliers der Alten Welt. Besonders die Verwendung gemalter Bildhintergründe, die Parks, Silhouetten bedeutender Baudenkmäler Europas, pompöse Treppenaufgänge in aristokratischem Ambiente und romantische Landschaften zeigten ließen eine starke Ausrichtung auf Fiktion und eine an diese gebundene Wahrnehmungsbereitschaft erkennen.

Die Anfangs noch durch die Fotografen selbst gestalteten Kulissen wurden später in deren Auftrag von Theater- und Dekorationsmalern angefertigt. Wegen der großen Nachfrage kamen die Hintergrunddekorationen schließlich im Zubehörhandel ins Angebot, schon um 1880 konnte in Spezialkatalogen unter Hunderten von Kulissen ausgewählt werden.[17] Ein großer Teil dieser Kulissen wanderte schließlich im Gepäck der Fotografen ins Ausland. Die Ausstattung der Studios sollte die Errungenschaften einer Zivilisation hervorheben, die sich die Kultivierung von Natur leisten konnte, bzw. eine fotografische Vorspielung gehobener Lebensumstände liefern - eine bis heute gültige Maxime. Um das unersättliche Bedürfnis nach Exotik zu stillen eignete sich die Fotografie schließlich Erzeugnisse aller Kulturen an, womit es zu einer Synthese lokaler und durch die europäische Fotografie implementierter Gestaltungstraditionen kam, die die Studiofotografie in den meisten Ländern der Welt bis heute ausmacht.

Das prägnanteste Element des Studioarrangements eines kambodschanischen Ateliers ist die gemalte Hintergrunddekoration, deren Motivkanon im Wesentlichen aus der Kolonialzeit erhalten geblieben ist, jedoch stetig um Dekorationen wächst, die an aktuellen Trends orientiert sind. Der Handel mit Kulissen für Fotoateliers ist in Südostasien noch heute ein lebendiger Geschäftszweig. Die im 19. Jahrhundert per Hand bemalten Stoffe werden heute vor allen Dingen in China industriell gefertigt und in umfangreichen Katalogen und im Internet[18] für die unterschiedlichsten Aufnahmesituationen angeboten: Bunte Regenbögen und Luftballons für Kinderportraits, Wasserfälle im Fichtenwald für das moderne Hochzeitsbild, schmiedeeiserne Parkzäune für das klassische Hochzeitsportrait und Windmühlen vor einem Rapsfeld für das „Fashionportrait“. Idyllische Schneelandschaften, Säulenensembles in Parksituationen, geschwungene Treppenaufgänge, Fenster mit Ausblick auf blühende Wiesen, herbstliche Wälder, Interieurs herrschaftlicher Anwesen wechseln sich ab mit überdimensionierten Blüten, Details japanischer Gärten, abstrakten Mustern und unifarbenen Hintergründen. Charakteristisch ist hierbei die Dominanz extrem intensiv leuchtender Farben und verschwimmender, weich gezeichneter Konturen. Die abgebildeten Szenarien beziehen sich in der Mehrzahl auf Landschaftssituationen bzw. architektonische Details, die einem europäischen Kontext entstammen. Kulissen, die einen eindeutigen Bezug zu typischer kambodschanischer Landschaft oder lokalen Sehenswürdigkeiten herstellen, sind nicht zu finden. Nicht nur die Studiodekoration sondern auch die Requisite und die Pose zeigen Analogien zu ästhetischen Konventionen des Kolonialzeitalters, auch wenn der Accessoirefundus der Studios mit Versatzstücken kambodschanischer Kultur wie landestypischen Korbstühlen, Fächern und aufwändiger Blumendekoration durchwoben ist. So gehören die griechische Gipssäule, Vasen, Gestecke und Schirmchen nach wie vor zum Standardfundus der Ateliers dekorative Objekte, die so schon im 19. Jahrhundert in der Portraitfotografie auftauchen.

Die Bildkomposition des fotografischen Materials der Rahmacher-Serie folgt einem klassischen Aufbau, in dem der Portraitierte das Zentrum des szenarischen Arrangements ausmacht. Der Kunde steht oder sitzt in statuenhafter Anmut, den Blick in die Kamera oder leicht an dieser vorbei gerichtet. Der Aufbau folgt einer klaren symmetrischen Liniengebung, bei der die horizontalen und vertikalen Achsen, die durch die Pose des Portraitierten und die Vorgaben der Hintergrundkulisse definiert werden, das Bild harmonisch unterteilen. In fast allen Portraits ist eine ausgewogene 1/3 – 1/3 – 1/3 Aufteilung zu erkennen, bei der der Kunde in der Mitte des Arrangements ein Drittel des Bildes einnimmt und seitlich jeweils ein Drittel der Szenerie durch die Kulisse bestimmt wird. Die Portraits variieren zwischen dem Ganzkörperportrait, dem Brustbild und dem Kopfportrait. Die Ganzkörperaufnahme stellt die beliebteste Wahl dar und wechselt zwischen Frontalansicht und Halbprofil. Das Modell wird in weichem schmeichelndem Licht aus zwei synchron eingesetzten Lichtquellen inszeniert, was zu einer Verschmelzung des Modells mit dem Hintergrund führt. Das Einzelportrait dominiert in auffälliger Weise das Gruppenportrait: bei etwa 95% der Aufnahmen aus dem Archiv handelt es sich um Einzelportraits junger Frauen. So ist es auch das „Styling“ (Frisur, Make-up) der Kundinnen und die Wahl der Kleider, die letztendlich den eindeutigsten Hinweis auf eine Verortung der Fotografien in Kambodscha geben. Hierbei sind zwei Gruppen zu unterscheiden. Den größten Teil der Einzelportraits stellen Fotografien von Bräuten im weißen, westlich inspirierten bzw. im farbigen kambodschanischen Hochzeitskleid oder jungen Frauen, die sich in festlicher Kleidung ablichten lassen. Die Kundinnen sind aufwändig frisiert, tragen Schmuck und Haardiademe und sind makellos geschminkt. Gestik und Pose sind zurückhaltend und klassisch, es ist die Zelebrierung eines besonderen Anlasses vor farbintensiven Kulissen und gleichzeitig die Affirmation der einer Khmer zugewiesenen Rolle, die im Kontext der jüngsten Geschichte des Landes verankert ist: „They – the Khmer – are focusing on women. The sense of their importance goes beyond the fact that more women than men survived the horrors of their recent history, or the fact that women are somehow ‘cultural bearers’ par excellence. There is something of central importance to this focus that is linked to the proper behaviour of women.”[19] “Symbolic images of the woman, and of proper female behaviour, thus not only to preserve culture but the Khmer social order and people in general.”[20] In einer Vielzahl der “Hochzeitsbilder” werden die Bräute inmitten von Blumengestecken präsentiert oder tragen wahlweise Blumensträuße oder einzelne Blumen in der Hand. Ein Teil der jungen Frauen posiert vor Hintergrundkulissen, die überdimensionierte Blüten abbilden, eine ikonographische Codierung der im asiatischen Kulturraum verankerten Hochzeitsmetapher: „In most Asian societies marriage is the pre-eminent rite de passage for young girls, effecting the transition from childhood to adulthood. The parable of this transition is the flower. As long as a girl is unmarried and still a virgin, she is compared with a flower bud, which petals are still closed, but ready to unfold. The newly married woman is like a blossoming flower, beautiful and fully opened up her petals.[21] 

Trotz allem spielt die Inszenierung eines urbanen Lebensstils und die damit assoziierte Emanzipation der Frau eine immer größere Rolle. Viele junge Frauen lassen sich in einem sportlich-modernen Outfit auf Bürostühlen oder mit eigenen Accessoires, die auf aktuelle Mode (Handtaschen) oder auf Bildung (Bücher) verweisen, ablichten. Es ist ein Manifest der Partizipation am modernen Leben und die Demonstration eines neuen Selbstbewusstseins, nicht nur der kambodschanischen Frau, die sich sukzessiv aus traditionellen Erwartungen löst, sondern auch einer ganzen Nation, die in kleinen Schritten das Trauma Jahrzehnte währender Bürgerkriege, Besatzung und Diktatur hinter sich lässt. „With the new proliferation of commodities and the new fashion and practise produced by capitalism and circulated in mass media and advertising, (people in Cambodia) are offered new ideas about self-expression and self-display.“[22] Beeinflusst durch die Bildsprache thailändischer Soaps und Werbefilme, indischer Spielfilme und westlichem Kino entwirft die kambodschanische Frau ein neues Bild von sich, das auf der Bühne des Fotostudios fixiert wird. Konventionelle Posen des Portraits werden hier, wenn auch nur in subtilen Andeutungen, aufgebrochen. Aus hoch geschlitzten Kleidern schaut ein nacktes Bein hervor, Kleider werden leicht angehoben und der Blick in die Kamera ist ein bisschen verwegener und auffordernder als in der traditionellen Inszenierung. Spezialisierte Fotostudios in Phnom Penh bieten inzwischen ein Gesamtpaket für interessierte Kundinnen an, die sich wahlweise in vor Ort geliehenen Kleidern als Braut, Star oder Prinzessin ablichten lassen können. [23] Ein Service, der sich steigender Nachfrage insbesondere bei jungen Frauen, die vom Land in die Großstadt abwandern, um dort ein besseres Leben zu finden, erfreut. Die Fotografien entstehen im Kontext wachsender Mobilität und Migration und dienen als Beweis, es in der Stadt zu etwas gebracht zu haben. Der Akt des Fotografierens selbst wird zum Beweis für die Übernahme einer modernen Technik der Reproduktion; Studios sind Orte der Transformation und der Begegnung mit dem eigenen Bild, sie bieten abseits des profanen Alltags ein Experimentierfeld für mögliche Selbstbilder [24] und das Foto lieferte als Objekt einen bleibenden Beweis für die Modernität seines Eigentümers.[25] In anderen ehemaligen Kolonien, wie Ghana z.B., das unter britischer Herrschaft stand, führte der Kampf um die Unabhängigkeit von den Imperialmächten zu einer Neupositionierung auf allen Ebenen der Kunst, die bis dahin von außen kontrolliert und beeinflusst worden war. Damit einher ging in den Fotoateliers die Ablösung der kolonialen Studiokulissen, an deren Stelle schließlich neue Dekorationen geschaffen wurden, die motivisch und ikonographisch besser auf die Bildbedürfnisse der einheimischen Kundschaft zugeschnitten waren. Die Kulissen wurden zu Begleitern der ghanaischen Geschichte und des kulturellen Wandels. Jedes Jahrzehnt entwickelte eigene Themenkomplexe, vor denen der fotografierte Mensch zur Figur seiner Zeit wurde.[26] Die Entwicklung der Studiofotografie in Kambodscha als einstigem Teil des französischen Kolonialreichs hingegen verlief nach einem völlig anderen Muster, das vor allem in der bewegten Geschichte des Landes begründet liegt.

Die Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1945 währte nur kurz, schon geraume Zeit später wurde Kambodscha von dem ersten der zwei Bürgerkriege (1966-75) erschüttert, der in die grausame Diktatur der Roten Khmer (1975-79) und schließlich in die Besatzung durch Vietnam und einen zweiten Bürgerkrieg (1979-89) führte. Intellektuelle und Künstler verließen Kambodscha und begannen ein Leben im Exil, nur ein Teil kehrte nach dem Ende der Auseinandersetzungen wieder zurück. Diktatur, Krieg und Besatzung hatten das kulturelle und künstlerische Leben zum Erliegen gebracht. Das Land und analog dazu die nationale Kunstszene erholten sich nur langsam von den Schrecken der vorangegangenen Jahrzehnte es war keine Zeit für künstlerische Experimente. In den Fotostudios hielt man an Bewährtem als ästhetischem Paradigma fest: Inszenierungsideale und der Motivkanon der Hintergrundkulissen aus kolonialer Zeit blieben bestehen. Erst allmählich vollzog sich eine Öffnung: neue Motive, diesmal bunt und abstrakt, angelehnt an durch ausländische Magazine, Seifenopern und Filme transportierte Stilvorgaben wurden in das Sortiment aufgenommen. Neue Identitätsmerkmale als Spiegel der Modernisierung wurden konstruiert und zeigten ein Land im Aufbruch, das sich bemühte, die Vergangenheit zu bewältigen und gleichzeitig den Anschluss an die Zukunft zu manifestieren.

Die von Roman Rahmacher zusammengestellte Serie mit Portraits aus den Jahren 1995-2002 gibt  einen aufschlussreichen Einblick in den Prozess der kambodschanischen Identitätsbildung nach Beendigung der Gewaltherrschaft und die Bemühungen eines Landes um die Modifikation eines neuen kulturellen Wirklichkeitskonzepts. Sie dokumentiert die Übergangsphase einer ästhetischen Verortung zwischen Tradition und Moderne, die repräsentativ für den Transitionsprozess einer ganzen Nation steht. Mit Verbreitung der Digitalfotografie und der Öffnung Kambodschas im Zuge der Globalisierung werden schließlich in den auf diese Phase folgenden Jahren neue Impulse gesetzt, die zu einer Überholung bisheriger Konzepte führen: Der Fotografie wird als Kunstform eine größere Plattform zugestanden - eine Entwicklung die einhergeht mit der Wiederbelebung der künstlerischen Aktivität in Kambodscha. Galerien mit Schwerpunkt auf künstlerischen Aktivität in Kambodscha. Galerien mit Schwerpunkt auf Fotografie etablieren sich und in der traditionellen Studiofotografie wird stärker experimentiert. Die Inszenierung rückt den Mensch klarer in den Mittelpunkt, indem die Hintergrundkulissen abstrakter und Pose und Arrangement an aktuellen Trends ausgerichtet sind.  Nach Jahrzehnten des Stillstands befindet sich Kambodscha derzeit inmitten einer intensiven Entwicklung. Es wird spannend sein, zu beobachten, was in den nächsten Jahren passiert.

Swaantje Güntzel
Swaantje Güntzel (*1972) studierte Ethnologie und Kunstgeschichte in Bonn und absolvierte später ein Aufbaustudium Fotografie/Film an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg. Sie lebt und arbeitet in Hamburg und Berlin.




Bibliographie

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2001 L´Indochine á la Belle Epoque : un rêve d´aventure ; 1870-1914, Paris.

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1997 Photographie und Gesellschaft, Reinbek bei Hamburg, 1997.

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1998   „Porträts aller Art. Die Entwicklung des Fotoateliers“ in: Frizot, Michel: Neue Geschichte der Fotografie, Köln.

Wendl, Tobias und Heike Behrend
1998 Snap me one! Studiofotografen in Afrika [anlässlich der Ausstellung „Snap me one! Studiofotografen in Afrika“ im Münchner Stadtmuseum (25.9.1998–10.1.1999), hrsg. von Tobias Wendl und Heike Behrend] München.

Wiener, Michael
1990 Ikonographie des Wilden: Menschen-Bilder in Ethnographie und Photographie zwischen 1850 und 1918, München.

Zünd, Marcel
1982  „Der Fotograf und der Fotografierte.“ in: Brauen, Martin (Hrsg.): Fremden-Bilder. ESZ 1 [Publikation zu den Ausstellungen: Frühe ethnographische Fotografie/Die exotische Bilderflut, Völkerkundemuseum der Universität Zürich], Zürich.

Wirz, Albert
1982 „Beobachtete Beobachter: Zur Lektüre völkerkundlicher Fotografien.“ in : Brauen, Martin (Hrsg.): Fremden-Bilder. ESZ 1 [Publikation zu den Ausstellungen: Frühe ethnographische Fotografie/Die exotische Bilderflut, Völkerkundemuseum der Universität Zürich], Zürich.




Anmerkungen

[1] Vgl. Tobias Wendl und Margrit Prussat: „  ‚Observers are worried’  Fotokulissen aus Ghana“, in: Snap me one! Studiofotografen in Afrika [anlässlich der Ausstellung „Snap me one! Studiofotografen in Afrika“ im Münchner Stadtmuseum (25.9.1998–10.1.1999), hrsg. von Tobias Wendl und Heike Behrend] München, 1998, S. 32.

[2] ebd.

[3] Jean Sagne: „Porträts aller Art. Die Entwicklung des Fotoateliers“ in: Frizot, Michel: Neue Geschichte der Fotografie, Köln, 1998, S. 109.

[4] Freund, Giselle: Photographie und Gesellschaft, Reinbek bei Hamburg, 1997, S. 69.

[5] Cooper, Nicola : France in Indochina: Colonial Encounters, Oxford, 2001, S. 69.

[6] siehe auch: Engelmann, Francis : L´Indochine á la Belle Epoque : un rêve d´aventure ; 1870-1914, Paris, 2001. und:
Franchini, Pierre (Hrsg.): Des photographes en Indochine: Tonkin, Annan, Cochinchine, Cambodge et Laos au XIXe siècle, Paris, 2001.

[7] Wiener, Michael: Ikonographie des Wilden: Menschen-Bilder in Ethnographie und Photographie zwischen 1850 und 1918, München, 1990, S. 34.

[8] Vgl. ebd. S. 34.

[9] Ebd. S. 134

[10] Ebd. S. 112.

[11] Zünd, Marcel: „Der Fotograf und der Fotografierte.“ in: Brauen, Martin (Hrsg.): Fremden-Bilder. ESZ 1 [Publikation zu den Ausstellungen: Frühe ethnographische Fotografie/Die exotische Bilderflut, Völkerkundemuseum der Universität Zürich], Zürich, 1982, S. 64.

[12] Vgl. Wiener, a.a.O., S. 112.

[13] Vgl. z.B. Bildmaterial in: Dupaigne, Bernard: Visages d´Asie, Paris, 2000.

[14] Vgl. ebd. S. 114.

[15] Wirz, Albert: „Beobachtete Beobachter: Zur Lektüre völkerkundlicher Fotografien.“ in : Brauen, Martin (Hrsg.): Fremden-Bilder. ESZ 1 [Publikation zu den Ausstellungen: Frühe ethnographische Fotografie/Die exotische Bilderflut, Völkerkundemuseum der Universität Zürich], Zürich, 1982, S. 58.

[16]  Clancy-Smith, Julia and Frances Gouda (Hrsg.): Domesticating the Empire. Race, Gender, and Family Life in French and Dutch Colonialism, Charlotteville, 1998, S. 116 ff.

[17] Vgl. Wendl, a.a.O., S. 29ff.

[18] siehe illustrierend: www.lekamarin.com (Thailand)

[19] Ledgerwood, Judy: Changing Khmer Conceptions of Gender: Women, Stories and the Social Order, Ph. D. Thesis, Cornell University, 1990, S. 2.

[20] Derks, Ann Elisabeth: Khmer woman on the move: migration and urban experiences in Cambodia, Amsterdam, 2005, S.19.

[21] ebd. S. 225.

[22]Hodgson, Dorothy L. (Hrsg.): Gendered Modernities: Ethnographic perspectives, New York, 2001, S. 10.

[23] Vgl. Derks, a.a.O., S. 186.

[24] Wendl, Tobias und Heike Behrend: „Afrika in den Bildern seiner Studiofotografen.“ in: Snap me one! Studiofotografen in Afrika [anlässlich der Ausstellung „Snap me one! Studiofotografen in Afrika“ im Münchner Stadtmuseum (25.9.1998–10.1.1999), hrsg. von Tobias Wendl und Heike Behrend] München, 1998, S. 13.

[25] Vgl. Behrend, Heike: „Bilder einer afrikanischen Moderne. Populäre Fotografie in Kenia“. in: Snap me one! Studiofotografen in Afrika [anlässlich der Ausstellung „Snap me one! Studiofotografen in Afrika“ im Münchner Stadtmuseum (25.9.1998–10.1.1999), hrsg. von Tobias Wendl und Heike Behrend] München, 1998, S. 24.


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